Spuren im Buch
Ich lese eigentlich jeden Tag. Da muss schon eine Hochzeit dazwischenkommen oder die Tagung über Silvester auf Burg Rothenfels, damit ich keine Zeit und keine Lust habe, ein Buch zur Hand zu nehmen.
Und ... und jetzt kommt das wahrscheinlich Schlimme für viele Buchliebhaber: Ich gönne mir gelegentlich Knabbereien und ein schönes Getränk, während ich lese.
Jetzt bei dieser Hitze ist es abends kein Wein, sondern selbstgemachte Limonade mit Eiswürfeln und scharfe Wasabi Cracker.
Ich fasse also fettige kleine Köstlichkeiten an, puste mir oberflächlich die Finger wieder sauber und blättere damit dann die Seiten um.
Macht ihr das auch?
Oder habt ihr soviel Disziplin und würdet das niemals machen?
Es wird sogar noch schlimmer: Ich mag es, dass mir ein paar Sandkörner begegnen, wenn ich einen Sommerroman ein zweites Mal lese und die Erinnerungen an den Urlaub in Son Macia und das Lesevergnügen an der Cala Romantica in mir aufsteigen.
Mein Lehrervater hat sich immer geärgert, wenn wir die Bücher, die uns die Schule gestellt hatte, immer tipptopp (man schreibt das wirklich mit 4 p, habe ich gerade nachgeschlagen, sieht unmöglich aus, oder?) und wie unbearbeitet abgeben sollten. Er wollte natürlich auch nicht, dass wir Lösungen ins Buch schreiben, aber er meinte immer, dass man es einem Buch ansehen sollte, dass man es benutzt und mit ihm gearbeitet hat. Eselsohren, Fettflecken oder die ein oder andere gemalte Blumenranke (auf besonders langweiligen Seiten) legten seiner meiner nach Zeugnis ab, dass hier gearbeitet worden war. Echtes Leben und Lernen hätten seine Berechtigung und könnten sich durchaus zwischen Buchdeckeln wiederfinden.
Er selbst schrieb in seine Bücher das Datum, an dem er angefangen hatte, es zu lesen, und wann er es beendete. Dazu kamen Anmerkungen über schöne Stellen oder Kommentare, wenn ihm etwas nicht passte. Auch presste er zum Beispiel Blätter und Blumen zwischen den Seiten, was mitunter zu Flecken führte.
Wie schön war es, wenn ich ein Buch auslieh und mir ein vergessenes Blümchen begegnete und wie schön, mitzubekommen, was er beim Lesen gedacht hat. Besonders jetzt, wo er verstorben ist, werte ich das als Geschenk.
Trotzdem hat er uns die Achtung vor einem gedruckten Buch beigebracht. Ich konnte meinen Kindern viele Bilderbücher meiner Kindheit zeigen und vorlesen, weil sie auch nach vier Kindern noch intakt waren. Malen sollten wir darin nie, dafür lagen überall Papierstapel herum, die wir nutzen konnten. Aber die Bücher sahen benutzt aus und geliebt.
Ja, so ein altes Buch mit abgestoßenen Ecken und grauen Seitenrändern in der Mitte, bei denen ich mir vorstelle, wie oft die Seiten umgeblättert wurden, weckt bei mir gute Gefühle.
Aber ... auch ich gehe mit neuen Büchern sorgsam um, rieche gerne an ihnen, lege sie nie offen und umgedreht auf den Nachttisch und sortiere sie liebevoll in meine vielen Bücherregale.
Ich denke, ich habe einen Mittelweg gefunden. Ich liebe Bücher, aber ich packe sie nicht in Watte, sondern nehme sie mit in mein Leben, dass momentan eben von Wasabi Crackern beeinflusst wird ...