Lesen in jeder Lebenssituation
Ich kann immer lesen. Außer vielleicht morgens. Obwohl ... nach einer Tasse Kaffee geht’s meistens schon. Tagsüber natürlich auch und abends im Bett am liebsten. Dabei bin ich noch nie eingeschlafen, vielmehr kommt es öfters als gewünscht vor, dass ich, aus vernünftigen Gründen, das Buch aus der Hand lege und das Licht ausmache. Dann liege ich da, meine Gedanken kreisen um die Geschichte und irgendwann gebe ich auf, mache das Licht wieder an und lese weiter.
Zum Glück kann ich mir das leisten, weil ich selbstständig bin und morgens länger schlafen und dafür abends länger arbeiten kann, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Außerdem es ist ja auch ein Kompliment für den jeweiligen Autor, weil mich die Geschichte so in ihren Bann zieht, dass ich unbedingt wissen muss, wie es weitergeht, so als wären meine Freunde oder Nachbarn betroffen und ich fiebere aus persönlichen Gründen mit.
Ein weiterer Vorteil des Lesens in allen Lebenslagen ist das entspannte Warten. Ich erinnere mich noch, wie ich bei der Einreise nach New York zweieinhalb Stunden am Zoll warten musste. Um mich herum herrschte kollektiver Unmut und ich las auf meinem eBook-Reader und bekam kaum mit, wie sich die Warteschlange langsam nach vorne arbeitete. Am Ende hatte ich das Buch ausgelesen, war glücklich mit dem Happy End und bereit, New York zu erobern, eine Win-win-Situation.
So mache ich das meistens, wenn ich warten muss, im Zug sitze und beim Arzt oder Friseur bin. Jedenfalls, wenn ich alleine bin, denn in Gesellschaft ziehe ich Gespräche dem Lesestoff vor.
Auch Vorlesen mache ich gerne. Angefangen natürlich, als die Kinder klein waren. Im Urlaub war mein Mann auch dabei und es wurde Tradition, dass ich bei jeder Reise lese, angefangen mit dem ersten Kapitel am Flughafen. Ja, und jetzt fahre ich morgen wieder in einen Familienurlaub und das Buch zum Vorlesen ist schon im Reiserucksack (Chateau Mort, Luc Verlains zweiter Fall von Alexander Oetker, Fall Nr. 1 gab es letztes Jahr im Griechenlandurlaub).
Manchmal denke ich, dass ich regelrecht süchtig nach Lesestoff bin. Aber ich habe mir die sechs Merkmale einer Suchterkrankung angesehen und bin beruhigt. Meine Leidenschaft zwingt mich noch nicht zur Therapie. Wobei ein radikaler Buchentzug schon schwere Entzugserscheinungen hervorrufen würde ...