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020 - 06.11.2020

Wenn sich die Jahreszeiten an ihren Auftrag halten, bin ich dabei

Scheinbar wird den warmen und helleren Monaten des Jahres mehr Liebe zuteil als den anderen.
Ich bekenne mich offen dazu, dass ich es sehr schön finde, in einer Klimazone zu wohnen, in der Jahreszeiten vorkommen. Ich liebe sie alle. Allerdings sollten sie sich auch an ihre Aufträge halten und nicht im August bei 14°C und Regen November spielen (ja, solche Auguste gab es, auch wenn die beiden letzten Auguste sehr heiß und sommerlich waren) und der Weg zur Weihnachtsmesse bei lauen 15°C eher an einen Frühlingsabend erinnern.

Herbst
Ich freue mich auf die Spaziergänge, bei denen man wie früher mit den Schuhen durch das viele Laub schuffelt. Ich finde dieses Geräusch einzigartig.
Die dunkleren Abende verlangen viele Kerzen und Lichterketten und verströmen Gemütlichkeit.
Kürbissuppe, Zwiebelkuchen und Martinswecken begleiten mich auf den Weg zu meiner geliebten Adventszeit. Das Schmücken der Wohnung für das Osterfest ist auch schön, aber die Weihnachtszeit schlägt das um Längen.
Ich liebe es, zu lesen und zwar das ganze Jahr über. Aber wenn es abends so früh dunkel ist und man es sich auf dem Sofa mit der Kuscheldecke gemütlich machen kann, fehlt mir ehrlich gesagt nichts, um glücklich zu sein.


Winter
Als Kleinkind betrachtet man viele Bilderbücher, auch solche, die die Jahreszeiten vorstellen. Und da ist der Winter natürlich immer mit Schneemassen, rodelnden Kindern und Schneemännern dargestellt. Tja, das ist im Rheinland (bin in Koblenz aufgewachsen und wohne jetzt in Bonn) nicht so einfach. Wenn man Glück hat, fallen irgendwann einmal ein paar Schneeflocken – und dann bricht das Chaos aus und der Verkehr zusammen. Wahlweise weil sich ein Bus querstellt, da er ohne Winterreifen ein Berglein erklimmen wollte oder weil die meisten Autofahrer dieser Schneeflockenpracht nicht gewachsen sind. Die plötzlich wechselnde Fahrbahnfarbe von grau auf weiß ist zu irritierend.
Alle Kinder zerren den fast nie benutzen Schlitten auf die winzigen Hügel und fahren in Sekundenschnelle alles wieder grün. Schneemassen sind also Fehlanzeige und die winzigen Schneemänner sehen immer dreckig aus, weil man viel Erde mitverarbeiten muss ...
Aber ich habe den Winter trotzdem lieben gelernt, auch wenn er immer anders aussah als in den Bilderbüchern.
Erstmal natürlich weil Weihnachten und Silvester in diese Jahreszeit fallen. Wie soll man da diese Jahreszeit nicht lieben?
Außerdem empfinde ich nach der ganzen, saftigen und bunten Zeit die kahlen Bäume wie ein wohltuendes und wunderschönes schwarz/weiß Foto und genieße die Kargheit.
Es gibt Rosenkohl und Klöße, Strickjacken und Stiefel, Wärmflaschen und Flanellschlafanzüge, Sauna und Massagen. Wunderbar.
Kurz bevor man dann trotzdem ungeduldig den Frühling herbeisehnt und ihn mit Tulpensträußen auf dem Tisch schon mal zuvorkommt, kann man im Karneval die müden Tanzknochen aktivieren, um den Winterschlaf abzuschütteln.


Frühling
Und dann kommt endlich der Frühling und der ist erst durch den Winterkontrast so schön. Denn wenn so langsam der Wein an unserer Mauer im Hof anfängt, seine Knospen in die Sonne zu recken, sich die Blumen aus der Erde arbeiten und alles anfängt, wieder Farbe zu bekennen, erfreue ich mich an all diesen Dingen, während ich mit einer Jacke auf der Terrasse sitze und die wärmenden Sonnenstrahlen genieße. So langsam erobere ich wieder meinen Garten als Lebensraum und verbringe dort sehr viel Zeit, eigentlich lebe und arbeite ich da, sobald es das Wetter zulässt.
Ich unterhalte mich wieder länger mit den Nachbarn auf der Straße, weil ich nicht festfriere, genieße diesen speziellen Asphaltgeruch, wenn es geregnet hat, umgebe mich mit Blumen und färbe Eier. Der erste Spargel, Erdbeeren, T-Shirts und die Aufregung, ob man einen Maibaum gestellt bekommt. All das verbinde ich mit dem Frühling, ich bin ein Maikind und wenn ich Lieblingsmonate benennen müsste dann wären es der Mai und der Dezember.

Sommer
Und dann ist plötzlich Sommer. Die Hitze, die Sonne, ständiges Eincremen und das Schwimmbad geben den Ton an. Wenn es geht, führt mich der Sommerurlaub ans Meer und da bin ich grundlos glücklich.
Eis, Cocktails, lange Sommerabende mit Freunden, Grillen, nackte Füße den ganzen Tag, Sand zwischen den Zehen, eisgekühlter Weißwein, Salat bis zum Abwinken, lange helle Abende und Nächte im Freien.
Zum Glück kann ich Hitze gut vertragen, sodass auch die letzten beiden Sommer meiner Liebe zu Jahreszeiten in all ihren Gewändern nichts anhaben konnten.

Ja, ich weiß, das dieses Jahr einige der hier aufgezählten Aktivitäten der Coronapandemie zum Opfer gefallen sind. Aber das bestimmt ja nicht mein ganzes Leben, sondern lässt mich noch klarer sehen, was alles so schön ist.
In diesem Sinne: Ein Hoch auf den November und auf alle anderen elf Monate, die folgen werden. Ihr seid alle etwas ganz Besonderes.