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026 - 29.01.2021

Was gibt es wichtigeres als Eis?

Wenn ich draußen das Eis von der Autoscheibe kratze, kommen mir unwillkürlich Eisbecher, Geschmacksexplosionen und Urlaube in den Sinn. Besonders zwei Urlaube nach Südtirol, einmal war ich 13, einmal 26 Jahre alt.
Als ich gestern mit einer Freundin über die diesjährige Urlaubsplanung sprach und wir alle möglichen Reisen Revue passieren ließen, konnte ich mit folgender Geschichte punkten:

In meiner Ursprungsfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und vier Kindern, wurden die Grundregeln der Demokratie frühzeitig eingeübt. Unser Sommerurlaub stand grob umrissen jedes Jahr zur Wahl: Meer oder Berge. Meine Mutter hatte das demokratische Abstimmen eingeführt, weil das Ergebnis immer schon im Voraus feststand, zu ihren Gunsten natürlich. Mühsame Wanderungen contra Spaziergänge am Strand, Flora und Fauna der Alpen contra Muscheln suchen und sortieren, abendliches Duschen contra Meeresbrandung, Hausberg contra unendliche Weite bis zum Horizont. Mein Vater hatte in all den Jahren nur seine zweite Tochter auf seine Seite ziehen können. Sie war wasserscheu und hasste Sand zwischen den Zehen. Meine Mutter hatte uns restliche drei Kinder klar auf der Meerseite. Also stand es immer 4:2 und wir fuhren ans Meer.

Und dann kam das Jahr, in dem ich 13 Jahre alt war, meine Mutter Urlaub von der Familie machte und zur ihrer ersten Kur fuhr.
In diesem Jahr wurde die Demokratie kurzfristig auf Eis gelegt, weil meine Mutter es eine gute Idee fand, einmal die Berge zu besteigen. Sie musste ja schließlich nicht mit.
Und so fuhren wir für 14 Tage nach San Candido in Südtirol auf einen Bergbauernhof und übten Wanderungen, um dann mit Freunden meiner Eltern weitere 14 Tage eine Hüttentour in den Alpen zu machen.
Ein Vater ohne sein Meer(jung)frau schreckt selbst mit vier Kindern vor nichts zurück!
Um das Wesentliche gleich vorweg zu nehmen: Wir haben alle überlebt und Muttern war gut erholt.

13 Jahre später machte ich eine Reise mit meinem Freund. Nach Südtirol. Nein, ich hatte mich nicht wesentlich verändert, Wandern light stand auf dem Programm, sowie bestes Essen und Erholung in einem wunderschönen Hotel mit Sauna...
Mein Vater zehrte immer noch von dem damaligen Urlaub, war ganz begeistert von unserem Reiseziel und machte den Vorschlag, doch mal bei dem Bauernhof vorbeizuschauen, auf dem wir vor Jahren Urlaub machten, die 14 Tage Trainingslager sozusagen vor unseren Hüttentour.
Na gut, aber sicherheitshalber ließ ich mir das Dorf und den Weg zum Bauernhof noch Mal genau erklären. Ich hatte zwar Bilder im Kopf, die waren allerdings seltsamerweise auch alle genau auf den 42 Fotos dieses Urlaubes drauf. Mehr fiel mir nicht ein.
„Beim Hinfahren wird es schon kommen“, dachte ich mir.
Es kam aber nicht. Gar nichts.
Wir gingen den beschriebenen Weg entlang und ich konnte mich an nichts erinnern. So was von noch nie hier gewesen, das glaubt man gar nicht.
Mein Freund verstand das nicht. Man konnte doch nicht 14 Tage lang jeden Morgen runter und jeden Abend wieder rauf laufen und sich an nichts erinnern? Oder sollte mein harmloser Schwiegervater in spe die Kunst der Hypnose in Vollendung beherrschen und so seine vier (oder drei) Bewegungsmuffel jeden Tag zu diesen Wanderleistungen gebracht haben?
Oder war das ein Komplott? Hielt die ganze Familie zusammen und erfand ganze Urlaube samt Urlaubbeweisfotos?
Aber warum???
Am Bauernhof angelangt, verschnauften wir erst mal und plötzlich öffnete sich die Tür. Eine etwas ältere, dicke, gemütliche Frau stand da, musterte mich und rief: „Ach, da ist ja die kleine Lustige vom Lehrer Peschka!“
Unglaublich, ich starrte die Frau an, zermarterte mein Gehirn, aber... ich hatte diese Frau noch nie gesehen. Sie wiederum erkannte in der jetzt 26 jährigen Frau das dreizehnjährige Mädchen mit Zöpfen und Brille wieder. Wir unterhielten uns kurz und auch da – keine Erinnerung!

Was hat man als 13jährige eigentlich im Kopf, so dass keine Erinnerungen von einem 14tätigen Urlaub hängen bleiben können?
Auf dem Rückweg durch das Dorf kamen wir an einer Eisdiele namens Tassilo vorbei. Und da machte es KLICK. Hier gab es riesige Eisbecher mit supertollen Dekorationen drauf – das fiel mir spontan wieder ein.

Es bleibt eben nur das Wesentliche im Kopf, ganz klar.