Ich träume von einem Schwanenhals
Gestern fiel mir eine Postkarte mit folgendem Text in die Hände:
„Die Kinder wünschen sich ein Pony zu Weihnachten.
Okay, mal was anderes - sonst gibt es immer Gans.“
Völlig erheitert habe ich mir das Szenario vorgestellt: Ein festlich gedeckter Tisch, gebratenes Fleisch mit Klößen und Rotkohl in großen Schüsseln, die entsetzten Kinderaugen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt ...
Diese Postkarte ist natürlich sofort in meine Sammlung aufgenommen worden.
Und dann fiel mir wieder meine eigene Fantasie bezüglich eines ungewöhnlichen Essenswunsches ein.
Kein Pony, kein Meerschweinchen, kein Hund, keine Sorge ...
Ich träume von einem Schwanenhals.
Schwäne fand ich schon immer schön. So oft ich einen erblickte, und das war nicht gerade selten, da ich in Koblenz geboren und quasi in den Rheinanlagen aufgewachsen bin, schaute ich ihnen lange hinterher und geriet ins Schwärmen. Ich dachte immer, das Schwäne halt meine Lieblingstiere wären, wie Schneehasen, Schimpansen oder Schlangen für andere Menschen.
Aber ein Urlaub an der Loire brachte die Wahrheit ans Licht. Ich liebe gar nicht Schwäne, ich träume nur von einem Schwanenhals. Nicht was ihr denkt. Ich bin mit meinem Hals ganz zufrieden und mal ehrlich, wie sähe man denn mit einem Schwanenhalsexemplar wirklich aus? Man ginge nicht mehr unter Leute, ganz klar.
Nein, ich träume von einem Schwanenhals und zwar einem gebratenen. Wenn wir früher ein Hühnchen unter sechs Personen aufteilen mussten, bekam ich den Hals, der Rest kloppte sich um Brust, Flügel und Beine, ich hatte zum Glück keine Konkurrenz. Wenig Fleisch, aber das herrlich mit Ei und Paniermehl umschlungen, knusprig gebraten. Köstlich! Aber leider viel, viel zu kurz.
Ganz dem Zeitgeist entsprechend wurde mir damals schon klar, dass ich quasi ein Vegetarier bin. Fleisch an und für sich finde ich geschmackstechnisch gesehen relativ langweilig. Gut schmeckt mir eigentlich nur die Kruste, zugegeben mit etwas Fleischgeschmack, wahlweise paniert, nach chinesischer Art süß-sauer oder scharf gewürzt mit so viel Chili, das man das am nächsten Tag bereut.
Mit diesen Essgewohnheiten und Einsichten bestückt zelteten wir also auf einem Campingplatz an der Loire, mein Freund hatte versucht, Kulinarisches auf dem Gaskocher zu zaubern. Wir saßen am Wasser und genossen die Abendsonne, Gaskocherfisch mit Baguette und Rotwein. Und da schwamm so ein Prachtexemplar von Schwan an mir vorbei, mit einem Wahnsinnshals. Alle Säfte in meinem Mund schossen zusammen und kurz unter dem Oberkiefer, neben den Ohren, tat es richtig weh. Ich sah so einen langen Schwanenhals in chinesischer Lackpaste gewälzt und gebraten und bepinselt und wieder gebraten vor mir, es duftete köstlich und das Teil war meterlang. Im Wachtraum zog ich mich diskret mit meinem Schwanenhals zurück und knabberte ihn Stück für Stück ab.
Das ist das Knabber-Paradies. Zumindest für die, die auch gerne Spießbratennetze abkauen, die einen ekeln sich schon beim Lesen, die anderen wissen, was ich meine.
Jetzt wusste ich es definitiv: Ich werde nie eine feine Dame wie mein nordostwestfälischer Wohnheimbruder mir immer prophezeit hat. Ja, ich akzeptiere dieses Urteil inzwischen und warte undamenhaft auf den Tag meiner Schwanenhalserfüllung.
Kürzlich las ich in einer Zeitung: „Kinder glauben, dass man Schwäne wahrscheinlich schon essen kann, wenn man sie vorher nur ordentlich zubereitet!“
Na also! Ich glaube das auch.