Photo
027 - 11.02.2021

In Bonn-Beuel steht die Wiege der Weiberfastnacht

Eigentlich erscheint mein Blog immer an einem Freitag, aber der heutige Beitrag erfordert eine Verlegung auf den Donnerstag davor.
Es ist nämlich so: Normalerweise stehe ich an Weiberfastnacht (und das ist immer ein Donnerstag) um 10.00 Uhr morgens kostümiert und geschminkt mit meinen Freundinnen (okay – und auch ein paar Freunden) in Beuel am Straßenrand.
Denn wenn et Trömmelche jeht, dann stonn mer all parat.

Kleiner Exkurs:
Ja, der Rheinländer kann auf Kommando fröhlich sein.
Ja, das ist nicht schlimm.
Ja, er kann auch an den anderen 359 Tagen fröhlich sein.
Menschen feiern ja auch jedes Jahr auf Kommando Geburtstag und bei einer Geburtstagseinladung sagt ja auch niemand: Hach, das ist ja so doof, das mach ich mal nicht, ich kann auch an jedem anderen Tag gratulieren und mit dem Geburtstagskind feiern. Dasselbe gilt für Weihnachten, Ostern, Nikolaus, St. Martin, den Freundschaftstag und den „Heute-habe-ich-den-Gips-abbekommen-Gedenktag“.
Man kann feiern, wann immer man möchte und man kann auf Kommando feiern und das steht dem spontanen Feiern in nichts nach.
Feiern ist eine Lebenseinstellung.

So, Exkurs beendet.
Zurück an den Straßenrand. Da wird Sekt getrunken, geschunkelt, gesungen, getanzt, nach Kamelle und Bützje gerufen und meine rheinische Seele ist im Einklang mit der Welt.
Es gibt so viel zu sehen. Besonders in den letzten Jahren habe ich erlebt, dass gerade die Kostüme, die einen gewissen Mut zur Hässlichkeit des tragenden Jecken voraussetzen, sehr gut ankommen. Oder Gruppenmottos und Pärchenkostüme, ich sage nur Elmex und Aronal, Bushaltestelle und Fahrkartenautomat, Christbaum und Geschenke, um nur ein paar originelle Kostüme zu nennen, sind meistens der Knaller und heben sich wunderbar von allen Durchschnittskostümen ab. Ein individuelles Kostüm ist allerdings auch nicht jedem gegeben, dafür aber Herzlichkeit und Frohsinn. Habe schon mit so vielen lustigen Hexen und Piraten getanzt und geschunkelt, da steht die gemeinsame Freude im Vordergrund und alles andere kann man getrost vernachlässigen.

Anschließend ziehen wir weiter und feiern ausgelassen den ganzen Tag, frei nach dem Motto:
Stonn op un danz/Mer fiere et Levve/Superjeilezick.
(Steh auf und tanz, wir feiern das Leben und haben eine supergeile Zeit!)
Spätestens gegen zehn Uhr abends, also nach 12 Stunden, wenn wir unsere Füße nicht mehr spüren, das Kölsch in uns aber versichert, dass das nicht weiter tragisch ist, sind wir vernünftig und treten den Heimweg an. Letzte Station: die Pommesbude an der Ecke. Nur mit einem Schälchen Pommes mit Mayo erhält man die nötige Energie zum Abschminken, Duschen und der Suche nach dem Bett.

Tja und heute, Weiberfastnacht 2021: Mer blieve zohus!
Ich habe also alle Zeit der Welt, sitze am Schreibtisch, schwelge in Erinnerungen (bei Karnevalsmusik natürlich) und schreibe.
Über Karneval. Fühlt sich komisch an. Weil das normalerweise nichts ist, worüber geschrieben, sondern was gefeiert wird. Aber es gibt ja für alles ein erstes Mal.
Und ich kann ja heute mal schreibenderweise etwas gegen den Vorwurf unternehmen, dass sowieso keiner mehr weiß, warum man Karneval bzw. Weiberfastnacht feiert.

Also aufgepasst: Im Bonner Stadtteil Beuel steht die Wiege der Weiberfastnacht. Ja, richtig gelesen, in Bonn, nicht etwa in Köln oder Düsseldorf. Hier entstand 1824 das erste Beueler Damenkomitee - aus einer Frauenbewegung: Die Beueler Wäscherinnen wehrten sich gegen das Patriarchat, die Dominanz der Männer und die unzumutbaren körperlichen und seelischen Belastungen, die ihnen aufgebürdet wurden.
Sie trafen sich zum Kaffeeklatsch, bei dem es eine feste Regel gab: Die Frauen hatten die Pflicht, über die groben Verstöße ihrer Männer gegen den Hausfrieden und die eheliche Treue oder über deren Alkoholexzesse zu berichten. Die Übeltäter waren selbstverständlich ausgeschlossen. Ihre Probleme wollten die Damen unter sich besprechen, denn unbeobachtet konnten sie sich ihren ganzen Frust von der Seele reden.
Der Brauch der Wäscherinnen überstand die unterschiedlichen politischen Epochen von der preußischen Besatzung über das Bismarck-Reich, die Monarchie, die erste Demokratie und die Nazi-Zeit bis hin zur heutigen Demokratie, die untrennbar mit dem Namen Bonn verbunden ist.
Seit 1958 benennen die Beueler Weiber alljährlich eine Repräsentantin, die Wäscherprinzessin. Sie zieht, unterstützt von der Obermöhn und resoluten, kampferprobten Damen, alljährlich an Weiberfastnacht zum Sturm auf das Beueler Rathaus. Es ist kein Geheimnis, dass die Verteidiger bislang jedes Mal gescheitert sind ...
So stehen am Ende Wäscherprinzessin, Obermöhn und die jecken Wiever mit den erfolglosen Verteidigern versöhnlich auf dem Rathausbalkon, um gemeinsam auf die Niederlage der Männer anzustoßen - und das närrische Treiben in der gesamten Stadt ist eröffnet!

So sieht’s aus, Freundinnen und Freunde, also lasst uns der wackeren Damen beim Homeschunkeln gedenken!
Ein dreifach donnerndes:
Jecke Wiever – Alaaf!
Bonn-Beuel – Alaaf!
Mer fiere bald widder zosamme – Alaaf!