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014 - 14.08.2020

Selbstgespräche mit Gegenständen

Es braucht schon seine Zeit, bis man offen dazu steht, dass man sich manchmal mit seinem Waschbecken unterhält. Aber was soll ich machen, wenn alle potentiellen Gesprächspartner schon schlafen und ich noch unbedingt die neuesten Ereignisse der vorangegangenen Party durchgehen und analysieren muss. Sonst komme ich nicht zur Ruhe und finde keinen Schlaf und der soll ja so wichtig und erholsam sein. Also fange ich beim Zähneputzen an, dem Waschbecken meine Gedanken mitzuteilen. Und es ist gut, dass es das Waschbecken ist, weil ich beim Zähneputzen natürlich sehr undeutlich spreche und jeder andere Gesprächspartner mit meiner Aussprache nicht einverstanden wäre. Aber ein Waschbecken schluckt alles.
Dann trage ich Kontaktlinsen und die müssen sorgfältig gepflegt werden, das kostet Zeit und dabei gehen die Gespräche weiter ... und wenn alle Glück haben, ist alles besprochen und ich kann schlafen.

Oder ... in einer unangenehmen Situation auf der Straße mit einer unbekannten Person konnte ich nicht die Antwort geben, die mein Gegenüber verdient hätte. Das lässt mich dann nicht los, obwohl ich diese Situation nicht noch mal neu gestalten kann. Ich gehe also das Gespräch immer wieder mit dem Waschbecken oder meinem pinken Stuhl durch, je nach Uhrzeit und Räumlichkeiten, meine Antworten werden immer brillianter.
Wäre das nicht schön: Regie, Klappe die 17te, der Fiesling wird mit treffenden Worten in seine Schranken gewiesen und dann: huldvoller Abgang. Ein Träumchen.
Mir geht es besser und Waschbecken oder pinker Stuhl können weiter ihr Dasein fristen, ohne von mir belästigt zu werden.

Oder ... ich schreibe an meinem Roman und habe einen Dialog im Kopf. Während ich ihn laut vor mich hin spreche, entwickelt sich das Gespräch in eine neue Richtung und ich komme kaum mit dem Tippen hinterher.
Denken alleine reicht nicht, ich muss den Text hören, dann weiß ich, wann er gut und stimmig ist.

Oder ... ich schreibe Mini-Geschichten mit meinem pinken Stuhl zu Fotos und die Dialoge verselbstständigen sich. Ich hab das Gefühl, das bin nicht ich, die antwortet, sondern der Stuhl - quasi.

So. Stellt sich die Frage, wann es soweit ist, dass ich einen Arzt aufsuchen sollte.

P.S. Wenn das Sprichwort sagt: „Ich habe das Gefühl, ich rede gegen eine Wand!“, warum es dann nicht gleich auch tun?