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017 - 25.09.2020

Ich werde nie eine Weinkennerin sein, aber mit „eins nach Vanille“ komme ich gut durchs Leben

In den letzten Monaten gab es viele Anlässe, zu feiern und dabei ein Glas Weißwein zu trinken. Das mache ich ab und ganz gerne, aber es macht mich nicht zur Weinkennerin, nur zu einer Gelegenheitsgenießerin.

Da kommen wir auch schon zu meinem Problem: Wer mir auf immer ein Rätsel sein wird, ist der sogenannte Weinkenner oder auch der, der ausgibt, einer zu sein. Ich kann diese beiden Sorten Mensch natürlich nicht auseinanderhalten, wir sprechen quasi eine andere Sprache. Ich kann ja auch einen echt chinesisch sprechenden Menschen nicht von einem unterscheiden, der nur so tut als spräche er chinesisch, ganz klar.

Ich weiß immer nur, ob ich von einem Wein noch ein zweites Glas trinken möchte, weil er mir schmeckt oder eben nicht.

Das ist aber in Kennerkreisen viel zu wenig, das ist sozusagen Blasphemie. Wahrscheinlich träumen diese Leute davon, solchen Banausen wie mir das Weintrinken zu verbieten, weil ja vielleicht ein edler Tropfen meine Kehle hinunter rinnt und ich nicht weiß, wie edel er ist und er mir einfach nur schmeckt. So geht das ja nicht.

Manchmal erinnert mich das an Biologen aus meinem Studium mit der Fachrichtung Botanik, die an einer herrlichen Blumenwiese nicht eher rasteten noch ruhten, bis sie anhand der gezählten Staubbeutel und dem Relief der Blattunterseite die Art bestimmt hatten. Das dieses Exemplar dann unwiederbringlich hin ist, war ja nicht weiter wichtig. Und einfach nur schauen und genießen, das ging nicht.

So ist das mit den Weinkennern und den Botanikern. Wahrscheinlich will ein botanischer Weinkenner auch noch die Blütenfarbe der Rebsorte erfahren, bevor er den Wein fachmännisch trinken kann. Bedauernswert.

Aber es sprechen auch Menschen, die man ansonsten gut kennt und schätzt, beim Weintrinken plötzlich eine andere Sprache. Da gibt man ja nicht direkt auf, da gibt man sich Mühe und Weinprobe für Weinprobe versucht man, den angesagten Geschmack nachzuempfinden. Aber was soll ich mit Aussagen wie: „Der Ansatz ist unsicher ... oder feinnervig ... oder mollig.“ nur anfangen? Gefühlt habe ich noch nie einen molligen Wein getrunken und unsicher war am Ende höchstens ich und nicht der Wein.
Und erdig, weich im Abgang und reintönig bewirken keine Wiedererkennungsimpulse meiner Synapsen zwischen den Geschmacksnerven und meinem Gehirn. Ich kann einfach das Vokabular und den dann getrunkenen Wein nicht so recht in Zusammenhang bringen.

Und immer wieder diese höfliche Frage in seichten Runden, wie mir denn der Wein munden würde. Was soll ich da nur sagen, wenn mir der Sinn nach Abwechslung steht und ich nicht einfach nur „gut“ sagen will.

Dann kam die Lösung all meiner Probleme. Ich habe jetzt zwei Geschmäcker für Weinsorten in mein Repertoire aufgenommen, mit denen komme ich gut durch den Rest meines Lebens.

Ich durfte an einer erlesenen Ärzterunde teilnehmen. Da ich solche Abende oft sehr, sagen wir mal, langatmig finde, fieberte ich diesem Ereignis nicht gerade entgegen. Aber es kam noch schlimmer. Schon nach kurzer Zeit drehten sich die Gespräche nur noch um Wein, den man in Afrika, Andalusien und sonst wo getrunken hatte. Natürlich traf man am ersten Tag seiner Reise einen einheimischen Superwinzer, dem man sofort ins Auge stach, wurde abends eingeladen und bekam das Beste geboten, was man je getrunken hatte (und jeder andere dieser Tischrunde natürlich auch). Aber da kam schon der nächste mit einer noch besseren Story mit noch unglaublicheren Zufällen und so wurde, glaub’ ich, gelogen, dass sich die Balken bogen.
Währenddessen wurde bei einem wirklich guten Essen manche Flasche Wein getrunken. Wobei man abwechselnd eine Flasche zurückgehen ließ wegen der falschen Temperatur oder wegen Kork oder weil man gerade an der Reihe war oder oder oder ...

Unglaublich.

Und dann kam meine Sternstunde während eines Streitgespräches zwischen einem Arzt und seiner Gattin, als es um die Beschreibung des aktuellen Weines ging: „Nein Hildegard, das ist nicht so. Dieser Wein hat einen anderen Nachgeschmack, hmm, ach Hildegard, ich komm gerade nicht auf den Namen, du weißt schon, dieser, dieser ... halt dieser Geschmack eins nach Vanille.“

Boah, das hat mich beeindruckt! Eins nach Vanille. Ich wusste gar nicht, das man die Geschmacksrichtungen katalogisieren kann. Und dann soll Hildegard ihm auf die Sprünge helfen (was sie nicht konnte), trotzdem wussten alle, ja, dieser Wein schmeckt eins nach Vanille.
Unglaublich.

Aber das war noch nicht alles. Der nächste Wein schmeckte diesem Herrn, ja, unglaublich aber wahr, nach frischgeschnittenen Weidenruten!

Ja Leute! Diesen Geschmack hatte ich zwar gerad mal nicht auf der Zunge, aber das ist doch egal.
Ich wusste, das ich diese beiden Weingeschmacksumschreibungen niemals vergessen würde und jetzt hab ich immer was in petto, um mich bei besonders feisten Herrenrunden in Szene zu setzten. Mit „eins nach Vanille“ und „frischgeschnittenen Weidenruten“ sprengt man jeden Abend.

Probiert‘s mal aus.